Osteoporosefrakturen bedingte Hospitalisationen in der Schweiz

Hospitalizations for major osteoporotic fractures in Switzerland: a long-term trend analysis between 1998 and 2018

Lippuner K et al., Osteoporos Int 2022: Online ahead of print

In dieser retrospektiven, epidemiologischen Studie wurde die Entwicklung der Hospitalisationen infolge von Osteoporosefrakturen in der Schweiz zwischen 1998 und 2018 untersucht. Die Daten zu den Hospitalisationen wurden aus den Gesundheitsstatistiken des Bundesamtes für Statistik (BFS) entnommen.

Innerhalb der 20 Jahre kam es zu einem absoluten Anstieg der frakturbedingten Hospitalisationen von 4483 auf 7542 bei den Männern und von 13242 auf 19362 bei den Frauen. Unter Berücksichtigung der Zunahme der älteren Bevölkerung (bei den > 45-Jährigen von 1.3 auf 1.9 Millionen) zeigte sich nach entsprechender Korrektur eine Abnahme der Hospitalisationen infolge Hüftfrakturen, während die Anzahl Hospitalisationen bei den anderen Osteoporosefrakturen (Wirbelkörper, proximaler Humerus und distaler Radius) zugenommen hat. Die Spitalaufenthaltsdauer nahm im gleichen Zeitraum von 16.3 auf 8.5 Tage bei den Männern und von 16.9 auf 8.1 Tage bei den Frauen ab.

Kommentar:
Interessante Daten zu den Hospitalisationen infolge Osteoporosefrakturen aus der Schweiz. Eine Erklärung für die Zunahme der alterskorrigierten Zahlen zu WK-, proximale Humerus und Radiusfrakturen bei Abnahme der Schenkelhalsfrakturen ist nicht einfach. Eigentlich sollten ja die alterskorrigierten Zahlen der frakturbedingten Hospitalisationen bei guter Prävention und Therapie der Osteoporose abnehmen. Eine Erklärung könnte jedoch die Feststellung sein, dass die Hospitalisationsbedürftigkeit bei den Hüftfrakturen 100% ist, während diese Rate bei den anderen Frakturen deutlich unter 50 % ist. Es gibt diesbezüglich Daten aus der Schweiz (Suhm et al Swiss Med Wkly 2008 und Lippuner Osteoporos Int 2009). Es zeigte sich, dass in den Jahren 2004 bis 2008 nur ca. 50 % der Patienten mit prox. Humerusfrakturen, resp. nur ca. 30% bei WK und Radiusfrakturen hospitalisiert wurden. Die Verschiebung von konservativer Frakturtherapie zu operativen Therapien (Osteosynthese, Vertebroplastik) in den letzten beiden Jahrzehnten könnte daher erklären, dass die höhere Hospitalisationsrate bei diesen Frakturen durch die häufigeren operativen Frakturbehandlungen im stationären Setting bedingt sein könnte.  Daneben sind WK-, Hüft- und Radiusfrakturen auch Indexfrakturen, die erst nach der Fraktur die Diagnose Osteoporose nach sich ziehen, und erst danach auch behandelt werden.

Interessant wäre eine Analyse der Hospitalisationen bei Osteoporose bedingten Zweitfrakturen und eine Untersuchung, wie viele der hospitalisierten Patienten die Diagnose Osteoporose bereits hatten, und wie viele davon auch behandelt wurden.

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Dr. Thomas Langenegger
Baar

Nervenmanschette für postoperativen Schmerz?

Soft, bioresorbable coolers for reversible conduction block of peripheral nerves

Reeder J.T. et al. Science 2022;377(6601):109

Die Forschergruppe der Northwestern University bei Chicago entwickelte ein weiches, bioresorbierbares, mikrofluidisches Band, mit dem periphere Nerven schnell und präzis gekühlt werden können, um eine lokale Analgesie für neuropathische Schmerzen in Rattenmodellen zu bewirken.

Ein elastisches flaches Band mit einer Breite von weniger als 5 mm kann während einer Operation um einen Nerv gewickelt und nach aussen mit einer Pumpe und einem Kontrollgerät verbunden werden. Das Band enthält mehrere kleine Kanäle, welche das flüssige Kühlmittel Perfluorpentan sowie Stickstoffgas enthalten. Wenn die Flüssigkeit und das Gas in eine gemeinsame Kammer strömen, entsteht Verdunstungskälte, welche das Gewebe von 37°C auf etwa 5°C abkühlt, was mit einem winzigen integrierten Sensor kontrolliert wird. Der Dampf wird durch einen 3. Kanal aus dem Körper geleitet. Das Band löst sich selber auf. Dies könnte eine Alternative zu postoperativen Kathetern und Opioiden bieten.

Neue Materialen können Fortschritte in der Medizin bewirken: Dieses einfache System könnte für operativ behandelte Nervenläsionen wirksam und nebenwirkungsarm sein.

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KD Dr. Marcel Weber
Zürich

Risiko einer Hydroxychloroquin – induzierten Retinopathie

Risk of hydroxychloroquine retinopathy in the community

Dabyt JY et al. Rheumatology 2022;61(8):3172

Hintergrund
Diese Kollegen aus Rochester haben in einer Kohorten Studie in 27 analysierten Regionen nach Inzidenz und Risiko einer HCQ-induzierten Retinopathie gesucht. Die Retinopathie Diagnose wurde unter anderem durch automatisierte Gesichtsfelderkennung detektiert und mittels optischer Kohärenztomographie (OCT) weiter definiert.

Bei 634 eingeschlossenen Patientinnen und Patienten mit einem mittleren Alter von knapp 54 Jahren waren die Hauptindikationen für die HCQ Gabe entweder RA bei 57% oder SLE bei 19%. Bei einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von ca 7.6 Jahren fand sich bei 11 ausschliesslich weiblichen Patienten eine HCQ Retinopathie, dies zudem überwiegend bei RA  – Patientinnen. Die kumulative Inzidenzrate lag nach 5 Jahren bei 0% und stieg auf knapp 4% nach 10 Jahren Einnahmezeit an.

Insgesamt war die Einnahme von durchschnittlich mehr als 5mg HCQ pro kg Körpergewicht mit einer Hazard Ratio von 3.6 behaftet im Vergleich zu niedrigeren Dosen. Weitere Berechnungen ergaben somit eine ca. 50%-ige Steigerung für eine HCQ -Retinopathie für jede 100g-Kumulation der HCQ Dosis.

Interessant ist der überwiegende Einsatz von HCQ bei der RA im Vergleich zum SLE– dies hätten wir genau anders herum erwartet.

Fazit für die Praxis
Der Einsatz von HCQ scheint in der oben beschriebenen Population insgesamt viel häufiger zu sein als in unseren Regionen, da die Hauptindikation die RA und nicht der SLE war (was ebenfalls verwundert). Somit ist die Analyse dieser Population extrem wichtig, da die Häufung einer Retinopathie in grösserer Zahl zu erwarten wäre.

Unabhängig von der Indikation sollten wir zwar auf die niedrigste, noch wirksame Dosis von HCQ reduzieren, um eine Toxizität weitgehend vermeiden zu können. Zum anderen darf man bei der zumeist verwendeten Dosis um 3mg/kg KG davon ausgehen, dass eine okuläre Problematik nicht innerhalb der ersten 5 Jahre auftritt, und bei SLE Patienten (für die wir dies ja am häufigsten einsetzen) eher selten aufzutreten scheint.

Dies ist eine wichtige Information für den Alltag, um für die meist lebenslange Gabe eines Medikamentes bei Arzt und Patient zu werben, dessen Wirkmechanismus nach wie vor nicht ganz geklärt scheint und die mögliche Reduktion des Visus eine grosse Hürde darstellen kann. Ein Screening in der Ophthalmologie sollte dennoch Routine sein – allerdings beschränkt sich diese Routine auf diejenigen Zentren/Praxen, die eine OCT auch durchführen können.

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Prof. Dr. Sabine Adler
Aarau

Calprotectin als Aktivitätsparameter bei RA unter Tocilizumab

Calprotectin (S100A8/S10049) detects inflammatory activity in rheumatoid arthritis patients receiving tocilizumab therapy

Gernert M et al. Arthritis Res & Ther 2022:online ahead of print

Unter Behandlung mit Tocilizumab (TCZ) ist es schwierig, die Aktivität im Serum zu bestimmen, zumal sowohl die Blutsenkung (BSR) wie auch das CR-aktive Protein (CRP) durch die Interleukin-6-Rezeptor-Hemmung beeinflusst werden. Diese Studie untersuchte, ob sich Calprotectin im Serum dazu eignet.

69 RA-Patienten unter TCZ sowie 45 unter TNF-Hemmern wurden nach Aktivitätsparametern untersucht.

Bei aktiver RA zeigte sich unter TCZ ein höheres Calprotectin als bei nicht aktiver Erkrankung, während sowohl BSR wie auch CRP sich für diese Unterscheidung schlecht eigneten. Auch unter TNF-Hemmer-Behandlung zeigten sich höhere Calprotectinwerte bei aktiver Erkrankung.

Fazit:
Wie bereits früher von Rheuma Schweiz berichtet (Flash vom 15. März 2021 sowie begleitender Special Article) eignet sich das Calprotectin im Serum besser zur Aktivitätsbestimmung unter Behandlung mit TCZ als CRP oder BSR. In Situationen, in welchen die Aktivität der RA klinisch schwierig zu erfassen ist, wird deshalb empfohlen, das Calprotectin im Serum anstelle von CRP oder BSR zu bestimmen.

Das Calprotectin wird nicht durch Interleukin-6 beeinflusst, sondern entsteht bei lokalen Entzündungen durch Ausschüttung von Entzündungsfaktoren durch Granulozyten sowie Monozyten und Makrophagen. In der Gastroenterologie wird das Calprotectin im Stuhl seit langer Zeit zur Aktivitätserfassung bei Colitis angewandt. Inzwischen ist die Bestimmung des Calprotectins im Serum in vielen Labors möglich.

Andere Studien haben gezeigt, dass Calprotectin seinen Wert nicht nur unter Behandlung mit TCZ hat, sondern dass das Calprotectin oft auch erhöht ist bei klinisch aktiver Arthritis und normalem CRP, aber auch als Indikator der radiologischen Progression bei RA und SpA, oder etwa als Risikoindikator einer entzündlichen Darmerkrankung bei Spondyloarthritis.

Zur Studie
Prof. Dr. Beat A. Michel
Zürich