Die Hüftdysplasie des Neugeborenen und des jungen Erwachsenen sind zwei verschiedene Entitäten

Beide sind multifaktorielle Hüfterkrankungen mit genetischen, ethnischen und Umwelteinflüssen als Risikofaktoren. Bei der Hüftdysplasie des Neugeborenen sind Platzprobleme, welche die Bewegungsfreiheit der Hüfte einschränken, die wesentlichen. Hierzu gehören eine kleine Gebärmutter, Beckenendlagen und Wickeltechniken des Neugeborenen. Dies erklärt, dass Erstgeborene und die linke Hüfte häufiger betroffen sind, da bei Erstgebärenden die Gebärmutter kleiner ist und die häufigste intrauterine Lage den Bewegungsfreiraum der linken Hüfte einschränkt. Wickeltechniken in voller Hüftextension, wie sie in vielen Kulturen traditionell angewendet werden, führen zu einer höheren Inzidenz als solche, welche der Hüfte die spontane Flexion und freie Abduktion erlauben. Das erhöhte Risiko bei positiver Familienanamnese deutet auf genetische Faktoren hin, obwohl bisher kein eigentliches Dysplasie-Gen identifiziert werden konnte. Die Prädominanz des weiblichen Geschlechts wird auf eine höhere Sensibilität des weiblichen Gewebes auf das mütterliche Schwangerschaftshormon Relaxin zurückgeführt. Das praktisch vollständige Fehlen der Hüftdysplasie des Neugeborenen in gewissen afrikanischen Stämmen untermauert ethnische Einflüsse.

Die Inzidenz einer luxierten Hüfte beim Neugeborenen wird mit 1–5 Fällen pro 1000 angegeben. Eine Subluxation oder Dysplasie tritt in 10 pro 1000 Neugeborene auf. In Ländern mit flächendeckendem Ultraschall Screening steigt die Inzidenz auf 25–50 pro 1000. So diagnostizierte, milde Hüftinstabilitäten haben einen guten Spontanverlauf und normalisieren sich innerhalb der ersten 8 Lebenswochen in 85 % der Fälle. Hüftdysplasien des Neugeborenen, welche trotz Behandlung im Kindeshalter zu einer sogenannten residuellen Hüftdysplasie nach Wachstumsabschluss führen, sind, zumindest in der Schweiz, selten geworden.

Trotz der Verbreitung des Neugeborenen Screenings wird eine wesentliche Anzahl Hüftdysplasien aufgrund fehlender Symptome erst im Erwachsenenalter diagnostiziert. Die Prävalenz der Hüftdysplasie des jungen Erwachsenen wird auf 0.1 % geschätzt. Untersuchungen zeigen, dass ein flächendeckendes Ultraschall Screening bei Neugeborenen zu mehr Behandlungen Neugeborener führt. Die Häufigkeit von bei jungen Erwachsenen diagnostizierten Hüftdysplasien wird dadurch aber nicht verringert. Es wird heute deshalb davon ausgegangen, dass es sich um zwei verschiedene Entitäten handelt. Dafür spricht auch, dass Hüftdysplasien des jungen Erwachsenen eine geringere Prädominanz des weiblichen Geschlechts und der linken Seite haben und häufiger beidseitig vorkommen.

Die Hüftdysplasie betrifft vor allem die Hüftgelenkspfanne, welche zu seicht ist und eine fehlerhafte Ausrichtung aufweist

Beides führt zu einer ungenügenden Einfassung des Hüftkopfes, welche global oder regional (lateral, anterior, posterior) sein kann. Eine posteriore Mindereinfassung kommt in einem von 3–6 Fällen vor. Im Weiteren ist die Hüftdysplasie in über 90 % der Fälle mit Deformitäten des proximalen Femurs vergesellschaftet. Sie betreffen vor allem die Torsion des Femurs, den Centrum-Collum-Diaphysen-Winkel und den Kopf-Hals-Offset.

Die verminderte Einfassung des Hüftkopfes resultiert in einer kleineren Kontaktfläche zwischen Oberschenkelkopf und Hüftgelenkspfanne, so dass der dadurch erhöhte Druck auf die Knorpelmatrix das physiologisch tolerierte Ausmass übersteigen kann. Zusätzlich wird der Knorpel der Pfanne durch die einwirkende Kraft zunehmend auf Scherkräfte beansprucht, was das Knorpelgewebe schlecht toleriert und zu früh auftretenden sekundären Koxarthrosen führen kann. Experimentelle Untersuchungen zeigen auch, dass das Labrum mehr Last aufnimmt. Dies erklärt die häufig ausgeprägte Hypertrophie des Labrums in den Bereichen der verminderten Einfassung. Erste Schäden entstehen auch typischerweise am Labrum, das mukoid degeneriert und reisst.

Die Hüftdysplasie des jungen Erwachsenen ist ursächlich für 25–50 % der Hüftarthrosen

Der Prozentsatz der Dysplasien des jungen Erwachsenen, welche zu einer vorzeitigen fortgeschrittenen Arthrose fortschreiten werden, ist nicht bekannt. Unabhängig vom Schweregrad wird geschätzt, dass in bis zu 50 % der Fälle im Alter von 50 Jahren mit einer radiologischen Arthrose gerechnet werden muss. Während milde Dysplasien einen zwar variablen aber meist gutartigen Spontanverlauf haben, führen Hüftdysplasien mit Subluxation des Hüftkopfes in 100 % der Fälle zu einer Arthrose im Alter von 50–60 Jahren (Abbildung 1, rechte Hüfte).

Abb. 1: Beckenübersichtsbild mit links mässiger Dysplasie und rechts schwerer Dysplasie mit Subluxation. Rechts in Schwarz unterbrochene Shenton Ménard Linie. Links in Weiss Zentrum-Ecken-Winkel nach Wiberg und in Schwarz Pfannendachwinkel nach Tönnis.

Untersuchungen zeigen, dass 25–50 % der Arthrosen auf eine Hüftdysplasie zurückgeführt werden können und das 48 % eines Patientenkollektivs, das vor dem 50igsten Altersjahr mit einem künstlichen Hüftgelenk versorgt wird, ein Hüftdysplasie aufweist.

Schmerzen im Bereich des Trochanter major im Sinne einer Tendinitis des Gluteus medius ist eine typische Frühmanifestation der Dysplasie des jungen Erwachsenen

Damit vergesellschaftet ist oft ein positives Trendelenburg Zeichen und Hinken. Diese Überlastung der Abduktoren kann als Ausdruck einer Dysplasie bedingten «Mikroinstabilität» des Hüftgelenkes verstanden werden: Um das Gelenk zentriert zu halten muss bei ungenügender knöcherner Einfassung des Femurkopfes eine grössere Muskelkraft aufgebracht werden. Diese Schmerzen treten typischerweise bei Belastungen wie langes Stehen, Gehen und Rennen auf. Eine übernormal gute Hüftbeweglichkeit bei der klinischen Untersuchung kann ein weiterer Hinweis sein. Erst mit dem Auftreten eines mukoid degenerierten, eingerissenen Labrums treten dann Leistenschmerzen auf. Je nach Lokalisation der Mindereinfassung können die Beschwerden variieren. So führt eine überwiegend anteriore Mindereinfassung zu Beschwerden, welche auf eine Tendinitis des Iliopsoas hindeuten. Diese Patienten berichten über Schmerzen bei schnellem Gehen und grossen Schritten.

Die Schwelle, eine Symphysen-­zentrierte Beckenübersichtsaufnahme zu veranlassen, sollte tief sein

Die Diagnose der Hüftdysplasie wird durch Messung des Zentrum-Ecken-Winkels nach Wiberg gesichert (Abb. 1, linke Seite). Ein Winkel > 25° entspricht einer normalen lateralen Kopfeinfassung. Ein Winkel < 20° entspricht einer Dysplasie. Werte dazwischen sind grenzwertig («Borderline Dysplasie»). Ein weiterer hilfreicher Winkel ist der Pfannendachwinkel nach Tönnis. Der Normwert liegt bei ± 10°. Eine vorwiegend anterior betonte Dysplasie wird auf einer Faux Profile Aufnahme durch Messung des anterioren Zentrum-Ecken-Winkels nach Lequesne gemacht. Werte > 25° entsprechen einer normalen anterioren Kopfeinfassung. Werte < 20° sind diagnostisch für eine Dysplasie.
Angesichts der hohen Prävalenz assoziierter femoraler Deformitäten empfiehlt sich für den Behandlungsplan eine MR-Tomographie der betroffenen Hüfte unter Einschluss einiger transversaler Schnitte durch das Kniegelenk. Dies erlaubt die Darstellung der femoralen Torsion. Radiäre Sequenzen, bei denen die Bildebene um die Schenkelhalsachse rotiert wird, erlauben die Darstellung einer oft vorhandenen Cam-Deformität (Taillierungsstörung am Kopf-Schenkelhals-Übergang) und eine bessere Darstellung der Knorpeldicke und der Labrumgrösse. Letzteres ist typischerweise hypertroph und weist mukoide degenerative Veränderungen auf. Je nach Ausprägung lassen sich auch paralabrale Ganglien oder allfällige Knorpelschäden darstellen. Die intra-artikuläre Kontrastmittel-Injektion erhöht die ­Sensitivität der Beurteilung von Knorpel- und Labrumschäden wesentlich (Abb. 2).

Abb. 2: Typische MR-Befunde der Dysplasie.
a) hypertrophes Labrum, welches
b) zystisch degeneriert ist und c) und
d) Signal verändert ist. Die weissen Pfeile zeigen ein typisches Ganglion, das in
e) im Bereiche der Iliopsoas­-sehne vordringt

Becken MRIs mit Darstellung des gesamten Beckens sind zur genauen orthopädischen Beurteilung einer Hüftpathologie einem fokussierten Hüft-MRI klar unterlegen.

Es ist generell akzeptiert, dass die frühe chirurgische Korrektur der Dysplasie des jungen Erwachsenen das Risiko der Arthrose Entstehung vermindert.

Die chirurgische Behandlung hat sich seit den 1960er Jahre stark weiterentwickelt. Durch varisierende und derotierende intertrochantäre Osteotomien am Femur wurde damals eine bessere Einstellung des Hüftkopfes in der dysplastischen Pfanne erzielt. Die Fehlform der Pfanne wurde dabei aber nicht an­gegangen. Sogenannte Pfannendachplastiken beinhalteten das Anbringen von Beckenkammspänen ausserhalb der Kapsel an den dysplastischen Pfannenrand in der Hoffnung, dass sich die so interponierte Kapsel zu einem Ersatzknorpel im Sinne einer Metaplasie umwandeln würde. Damit wurde der Hüftkopf besser eingefasst, allerdings nicht mit hyalinem Knorpel. Osteotomien am Becken mit dem Ziel die Hüftpfanne so zu orientieren, dass der Hüftkopf mit hyalinem Knorpel besser eingefasst ist, kamen erst später auf. Viele Varianten davon führen zu einer Diskontinuität des Beckenringes und erfordern deshalb eine sehr langwierige und sorgfältige Nachbehandlung. Die am Ende der 80-ziger Jahre von Rheinhold Ganz in Bern entwickelte periazetabuläre Osteotomie erhält die Beckenkontinuität am hinteren Beckenring (Abb. 3) und erlaubt so eine einfachere und schnellere Nachbehandlung.

Abb. 3: a) Periazetabuläre Beckenosteotomie nach Ganz mit polygonalen Knochen­durchtrennungen, welche den hinteren Beckenring (mit rotem Balken markiert) intakt lässt.
b) Ausschnitt eines Beckenübersichtsbildes einer rechten Hüfte vor und
c) nach Osteotomie

Weitere Vorteile dieser Osteotomie sind das starke Korrekturpotential und der Umstand, dass die Form des Geburtskanales unverändert bleibt und deshalb Spontangeburten erlaubt. Die periazetabuläre Osteotomie ist in der Schweiz und in grossen Teilen der Welt zum Standard geworden.

Langzeitresultate nach dieser Osteotomie gibt es bis zu einer Beobachtungszeit von 30 Jahren

Die Patientengruppen sind bezüglich Alter und bereits vorhandenem Arthrose Grad vor der Operation sehr heterogen. Insgesamt zeigen etwa 30 % dieser Hüften nach 30 Jahren keine radiologische Progression der Arthrose und haben ein gutes klinisches Resultat. Über 40 % dieser so behandelten Hüften haben nicht mit einem künstlichen Hüftgelenk versorgt werden müssen. Das Alter und der vorbestehende Arthrose Grad sind die wichtigsten Faktoren, welche mit der Progression der Arthrose, mit einem unbefriedigenden klinischen Resultat und mit dem Überleben der Hüfte (Umwandlung in Totalprothese) vergesellschaftet sind. Bei fehlender Arthrose überleben nach 30 Jahren 60 % der Hüften. Bei geringem Arthrose Grad (Tönnis 1) reduziert sich dieser Anteil auf 20 %, bei mehr Arthrose auf nahezu 0 %. Bei über 40-jährigen sind über die Hälfte der Hüften nach 15 Jahren und alle Hüften nach 30 Jahren in ein künstliches Hüftgelenk konvertiert. Bei unter 30-jährigen sind es nach 15 Jahren weniger als 5 % und nach 30 Jahren 60 %, welche ein künstliches Hüftgelenk benötigt haben. Entsprechend ist der ideale Patient für eine periazetabuläre Osteotomie jünger als 30–40 Jahre und zeigt keine oder nur sehr milde Gelenkschäden.

Arthroskopische Eingriffe bei Dysplasie sind obsolet

Bei Patienten über 40 Jahre ist die Versuchung gross, einen arthroskopischen Eingriff zur Behandlung des gerissenen und mukoid degenerierten Labrums anzubieten. Untersuchungen zeigen aber, dass, wenn überhaupt, nur eine kurzfristige Beschwerdelinderung von bis zu einem Jahr, erzielt werden kann. Danach verschlechtert sich die Situation rasch wieder. Im weiteren bergen isolierte Resektionen des Labrums bei Dysplasie die Gefahr iatrogener Hüftluxationen. Entsprechend bleibt in dieser Altersgruppe nur die oben erwähnte symptomatische Behandlung, um eine prothetische Versorgung hinauszuzögern.