Multidisziplinäre Therapie bei Rückenschmerzen günstig

Effect of a Biopsychosocial Intervention or Postural Therapy on Disability and Health Care Spending Among Patients With Acute and Subacute Spine Pain: The SPINE CARE Randomized Clinical Trial

Choudhry N.K. et al. JAMA 2022;328:2334

2971 Patienten (Alter 52 Jahre, 60% Frauen, 92% beendeten die Studie) mit Nacken- oder Rückenschmerzen von 3 Monaten Dauer oder weniger wurden auf (1) die übliche Versorgung (n=992), (2) eine risikostratifizierte, multidisziplinäre Intervention (ICE: Physiotherapie, Gesundheitscoach-Beratung und Beratung durch Schmerzmediziner) (n=829) oder (3) individualisierte Haltungstherapie (IPT) (n=1150) randomisiert. Die ODI-Werte (Oswestry Disability Index) verbesserten sich nach drei Monaten von 31.2 auf 15.4 für ICE, von 29.3 auf 15.4 für IPT und von 28.9 auf 19.5 für übliche Versorgung. Die absoluten Unterschiede gegenüber üblicher Versorgung betrugen -5.8 für ICE und -4.3 für IPT (je p<0.001). Die 12-Monatskosten waren 1448 vs. 2528 vs. 1587 US-Dollar für ICE vs. IPT vs. üblicher Versorgung.

Einmal mehr zeigt sich bei einer grossen Patientenzahl, dass eine multidisziplinäre biopsychosoziale Intervention der üblichen Behandlung bei Patienten mit akuten oder subakuten Wirbelsäulenschmerzen überlegen ist. Ebenso effizient aber teurer war eine individualisierte posturale Therapie. Solange unser Wissen über Rückenschmerzen nicht besser ist, müssen wir eine multifaktorielle Genese der Schmerzen annehmen, so dass ein multidisziplinärer Zugang bessere Ergebnisse zeigt als eine Monotherapie.

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KD Dr. Marcel Weber
Zürich

Ist die Temporalarterienbiopsie bei Riesenzellarteriitis out?

Optimizing the use of temporal artery biopsy: a retrospective study

Villeneuve E. et al. J Otolaryngol Head Neck Surg 2023:online ahead of print

Ob bei Temporalarterienarteriitis eine Biopsie erfolgen soll, ist nach wie vor kontrovers. Die vorliegende retrospektive Studie untersuchte bei 127 Patienten, welche bei Verdacht auf Riesenzellarteriitis für eine Temporalarterienbiopsie zugewiesen wurden, die Positivitätsrate sowie assoziierte Faktoren.

23,7% der Temporalbiopsien fielen positiv aus. Eine sehr starke Assoziation fand sich zwischen Kauclaudicatio und einer positiven Biopsie, ebenso bestand eine hohe Positivitätsrate bei Patienten, bei welchen Initial ein starker klinischer Verdacht auf die Erkrankung geäussert wurde. Die Dauer der Kortikosteroidtherapie vor Biopsie war nicht ausschlaggebend für das Resultat.

Fazit
Die Posititvitätsrate der Temporalbiopsie liegt mit 23,7% sehr tief, bestätigt aber frühere Untersuchungen. Unter den klinischen Verdachtsmomenten ist vor allem die Kauclaudicatio

essenziell, geht sie doch mit einer hohen Positivitätsrate der Biopsie einher (im allgemeinen Kauclaudicatio bei bis zu 30% der Patienten mit Riesenzellarteriitis). Auch bei negativem Biopsieresultat wurde die Kortikosteroidtherapie meistens weitergeführt, dies besonders bei hohem klinschem Verdacht auf eine Riesenzellarteriits. Die Autoren äussern deshalb, dass eine Temporalarterienbiopsie bei starkem Verdacht auf die Erkrankung nicht notwendig sei.

Die Dauer der Kortikosteroidtherapie war nicht ausschlaggebend für das Resultat der Biopsie. Dies ist wohl auch dadurch bedingt, dass die Biopsie bei der grossen Mehrzahl der Fälle bereits nach wenigen Tagen, jedoch praktisch bei allen innert zwei Wochen stattgefunden hat.

Es fragt sich tatsächlich, ob eine Arterienbiopsie notwendig ist. Nebst der Klinik, der Ultraschalluntersuchung oder allenfalls auch der PET-Untersuchung dürfte sie nur eine geringe Rolle spielen, zumal sie insbesondere bei fraglichen Fällen (ohne Kauclaudicatio) und wenig typischen Symptomen besonders häufig negativ ausfällt.

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Prof. Dr. Beat A. Michel
Zürich

Hautnebenwirkung von Allopurinol ist weniger häufig bei tiefer Startdosis bei Patienten mit Niereninsuffizienz

Initiation Dose of Allopurinol and the Risk of Severe Cutaneous Reactions in Older Adults With CKD: A Population-Based Cohort Study

Bathini L. et al. Am J Kidney Dis 2022;80:730

Die kutane Hypersensitivitätsreaktion ist eine relevante und potentiell letale Nebenwirkung von Allopurinol. Es ist bekannt, dass diese Nebenwirkung häufiger ist bei einer höheren initialen Dosis von Allopurinol. Es wird deshalb empfohlen, dieses Medikament langsam aufzudosieren.

In dieser populationsbasierten Kohortenstudie aus Kanada wurde die Häufigkeit dieser Nebenwirkung, und ob diese von der Höhe der Startdosis Allopurinol abhängt, bei Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion (CKD Stadium ≥ 3) untersucht. Es wurden Daten zwischen 2008 bis 2019 aus 7 Gesundheitsdatenbanken aus der Provinz Ontario diesbezüglich ausgewertet.

Es konnten die Daten von 47’315 Patienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion CKD Stadium ≥3 und Beginn einer Allopurinoltherapie analysiert werden. 55 % hatten eine Startdosis Allopurinol von > 100 mg und 45 % < 100 mg.

Im primären Studienendpunkt Hospitalisationen wegen einer schweren Hautreaktion zeigte die Gruppe mit einer Startdosis Allopurinol von > 100 mg ein doppelt so hohes Risiko. Die Mortalität beider Gruppen unterschied sich jedoch nicht.

Kommentar
Diese Studie aus einer grossen Gesundheitsdatenbank mit über 47’000 Patienten zeigt, dass bei eingeschränkter Nierenfunktion Allopurinol zu Beginn tief dosiert werden sollte. Damit sind potentielle gefährliche Hautreaktionen halb so häufig. Im Verlauf kann dann die Dosis langsam gesteigert werden bis zu einer Zielharnsäuresenkung von < 360 µmol/l.

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Dr. Thomas Langenegger
Baar

«Expectation Bias» ist wichtig!

Influence of Active Versus Placebo Control on Treatment Responses in Randomised Controlled Trials in Rheumatoid Arthritis.

Kerschbaumer A. et al. Ann Rheum Dis, 2023:online ahead of print

In dieser systematischen Analyse untersuchten die Autoren, ob sich die Behandlungseffekte pharmazeutischer Präparate in klinischen Studien für rheumatoide Arthritis mit Placebo-Kontrollen im Vergleich zu den gleichen Präparaten in Studien mit aktiven Behandlungs-Kontrollen unterscheiden.

Es wurden randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zu RA identifiziert und die Behandlungsarme mit vergleichbaren Behandlungsschemata, Populationen, Hintergrundtherapien und Ergebnisberichten anhand der Art ihrer Kontrollgruppe (aktive Vergleichsgruppe oder Placebo) verglichen. Mithilfe einer logistischen Regression mit gemischten Modellen wurden die Odds Ratios (OR) für das Erreichen eines Ansprechens nach American College of Rheumatology (ACR) 20/50/70 % in den Wochen 12 und 24 geschätzt.

Von initial 8328 gescreenten Studien wurden schlussendlich 40 für die Analyse ausgewählt. Die einzelnen Wirkstoffe zeigten in den Studien mit aktiven Komparatoren signifikant höhere Ansprechraten als in den placebokontrollierten Studien, mit ORs von 1,67 für ACR20, 1. 50 für ACR50 und 1,65 für ACR70 für Woche 12; respektive für Woche 24 waren die entsprechenden ORs für ACR 20, 50 und 70 1. 93, 1,75 und 1,68.

Kommentar
Placebokontrollierte Studien führen zu kleineren Effektstärken von Wirkstoffen in RCTs im Vergleich zu demselben Wirkstoff in direkten Studien. Dieser Unterschied lässt sich möglicherweise durch potenzielle Nocebo-Effekte in placebokontrollierten Settings erklären und sollte bei der Interpretation von Head-to-Head- und placebokontrollierten Studien durch Patienten, Prüfer, Sponsoren und Zulassungsbehörden berücksichtigt werden. Die Ergebnisse waren auch in mehreren Sensitivitätsanalysen robust, einschließlich der Stratifizierung nach Populationen, z. B. bDMARD-naiv gegenüber bDMARD-erfahren oder mit bzw. ohne Berücksichtigung von Biosimilar-Studien.

Zur Studie
Dr. Christian Marx
Zürich